o.T. (Multiple)
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1. Preis Landkreis Osnabrück, Wettbewerb Kalkriese
Blei, Sand, 4 Texte auf Acrylglas
ca. 41,5 x 31 x 5,5 cm
1994, Auflage 15
Foto: Rolf Sturm

Kalkriese

[1-2] Die Suche nach dem historischen Platz der "Varusschlacht" hat durch die Ausgrabungen in Kalkriese einen erheblichen Einschnitt erhalten.

Ob nun endgültig bewiesen werden kann, dass es sich tatsächlich um den Ort der Schlacht handelt oder nicht, die Bedeutung des Fundes fordert heraus, diesen "Einschnitt" zu thematisieren und festzuhalten, bzw. aus diesem Anlass über die Ereignisse und ihre Wirkung/Rezeption im Lauf der Jahrhunderte erneut aus heutiger Sicht nachzudenken.
Dies war Ausgangspunkt der künstlerischen Auseinandersetzung.

In einem Behältnis aus Blei werden vier Texttafeln und Erde aufbewahrt. Die Erde bzw. der Sand stammt aus dem Ausgrabungsgebiet.

Blei
Das Material Blei bildet den Schutzmantel, die feste Hülle. Der Inhalt der "Schachtel" ist vor Zerstörung geschützt, wobei Zerstörung nicht nur äußerliche Einflüsse meint, sondern auch Zerstörung durch Vergessen bedeuten kann.

Texttafeln
Die Auswahl der Texte ist natürlich subjektiv; sie sollen aber dennoch symbolisch für die verschiedenen Auffassungen und Weitergaben der Ereignisse in der jeweiligen Zeit stehen.

Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet in seinen Annalen um 89 n. Chr. von dem Ort der Schlacht, dem Teutoburger Wald. Auf der Basis seiner Schilderungen entstehen viele Theorien über den tatsächlichen Ort der Ereignisse.

Im Lauf der Jahrhunderte wird Hermann, als Befreier Germaniens, zu dem deutschen Helden, zum Kristallisationspunkt deutscher Nationalität mythologisiert. Diese Sicht zeigt sich deutlich in der literarischen Verarbeitung des Themas, z.B. in der Ode von Friedrich Gottlieb Klopstock.

Heinrich Heine greift diese Art von Nationalgefühl in seinem Text ironisch an.

Hans Magnus Enzensberger thematisiert in seinem Buch "Die große Wanderung. 33 Markierungen" ein heute sehr wichtiges Phänomen, die Migration, in der Öffentlichkeit am präsentesten in den Begriffen Ausländerproblematik und Asyl.
Die Frage der Nationalität hat wieder eine starke Anziehungskraft erhalten. Hier liegt die Verbindung zur Instrumentalisierung und Mythologisierung in der Rezeption der Hermannfigur.

Die Texte sind auf durchsichtige Tafeln gedruckt und liegen übereinander. Dadurch verschwimmen die Buchstaben und Wörter ineinander und verbinden sich zu einer gedanklichen Herausforderung.

Erde
Im Hintergrund ist die Erdschicht sichtbar, der Boden, in dem die Spuren der Ereignisse 9 n. Chr. gefunden wurden, durch die die aktuelle Auseinandersetzung in Gang gebracht wurde.

DP. Auszug aus der Dokumentation zum 1. Preis beim Kunstwettbewerb "Kalkriese" des Landkreises Osnabrück. 1994